leseprobe


 

 

 

 

Der Wurzelgnom

...

Sie gingen eine Zeit lang, bis Pit sich zu ihr umdrehte und rief: "Dort vorne geht`s wieder nach links."

Kurz darauf hörte Mina ihn klagen. "Oh Mann, wieder geradeaus."

"Hoffentlich gehen wir nicht im Kreis", rief Mina ihm zu.

"Nein, das glaub ich nicht", rief er zurück.

Mina beeilte sich, holte auf und ging neben ihm her.

Da Pit keine Anstalten machte, etwas zu sagen, schwieg auch sie. Als sie an der Linkskurve ankamen, lag ein neuer Weg vor ihnen, der identisch mit den anderen war.

Die ganze Zeit über wurde Mina das Gefühl nicht los, dass sie im Kreis gingen.

"Lass uns rennen", sagte Pit und rannte auch schon los.

Mina hetzte ihm hinterher.

"Schon komisch, zu Hause kann ich nicht so lange an einem Stück laufen. Da hätte ich zumindest Seitenstechen. Hier komme ich nicht einmal außer Puste."

"Ja, mir geht es genauso. Aber hier haben wir ja auch keinen festen Körper, anders als zu Hause", rief Pit zurück.

Plötzlich blieb er stehen und streckte den Arm zu einer Hecke hin. "Oh Scheiße, siehst du das? Das glaubst du nicht!"

Mina kam näher und sah die gelben Flügel, die sie an die Hecke gehängt hatte. Sie fühlte ein ekliges, flaues Gefühl im Bauch. "Mist - wir sind im Kreis gegangen."

"Ja, du hattest Recht. Hast du die Tür gesehen, durch die wir gekommen sind?"

Mina schüttelte den Kopf.

"Eigenartig, ich nämlich auch nicht, dabei hab ich die ganze Zeit nach rechts und links geschaut. - Die scheiß Hecken müssen doch irgendwie verschwinden." Pit schnippte wild mit den Fingern.

Mina stellte sich vor, wie sie sich auflösten, aber die Hecken blieben.

Hinter ihnen ertönte ein leises Hüsteln.

Erschrocken drehte Mina sich um. Nicht weit von ihnen entfernt, stand ein sonderlich aussehender Gnom in Licht gehüllt. Er war alles andere als hübsch. Mitsamt dem großen schwarzen Filzhut, den er auf dem Kopf trug, ging er Mina gerade mal bis zu den Knien. Sein Gesicht war grün wie Gras und mitten darin war eine riesige Knollennase, die so viel Platz beanspruchte, dass für das restliche Gesicht nicht viel übrig blieb. Gekleidet war er mit grauer Filzjacke und schwarzer Hose. Zudem war er barfüßig. Mina schaute ihm verblüfft auf die Füße. Die waren nämlich das Sonderbarste an ihm. Er hatte dicke Zehen, die ebenso grün waren wie Gesicht und Hände. Aus den Zehenspitzen wuchsen weiße Wurzeln, die sich hektisch hin und her bewegten.

Mina hatte schon des Öfteren in Märchen über Gnome gelesen, aber dieser kleine Kerl übertraf all ihre Erwartungen.

"En - Entsch - Entschuldigung", stotterte sie. Sie atmete tief ein und räusperte sich. "Können Sie uns vielleicht sagen, wie wir hier wieder herausfinden?", fragte sie dann mit festerer Stimme.

Während der Gnom immerfort von einem Fuß auf den anderen trat, sagte er: "Ist es nicht sinnvoller zu fragen, wo ihr eigentlich seid?"

"Ja, stimmt. Wo sind wir eigentlich?", fragte Pit.

Der Gnom lächelte und sagte: "Jetzt kommen wir der Sache doch schon näher. Ihr seid hier im Garten der undurchdringlichen Hecken. - Es sind übrigens eure ganz persönlichen Hecken."

"Pits und meine Hecken?", fragte Mina fassungslos.

"Ja, so ist es", sagte der Gnom und nickte.

Er zeigte mit seinen dicken kurzen Fingern auf die Hecke und fuhr fort: "Ihr habt sie euch im Laufe der Zeit selbst erschaffen. - Die Hecken sind Hindernisse oder besser gesagt Wegversperrungen."

Allmählich wurde die Kälte, die Mina erfasst hatte, seit sie durch die Tür gegangen war, fast unerträglich.

"Was sind Wegversperrungen?", fragte sie und rieb hastig mit den Händen ihre Oberarme, um sie zu wärmen.

Der Gnom sah zu ihr hinauf und sagte ...

 

 

 

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