Der kleine Schneemann
Es schneite heftig. Die zehnjährigen Zwillingsbrüder Karsten und Pino saßen mit aufgestützten Armen vor dem Fenster. Fröhlich sahen sie den Schneeflocken zu, die vom Himmel herunter tanzten. Der Schnee lag mindestens schon knöchelhoch.
"Komm, lass uns nach draußen gehen, Schlitten fahren", schlug Pino vor.
Schnell zogen beide, Schal, Mütze, Jacke und dicke Handschuhe an, holten die Schlitten aus dem Keller und liefen laut brüllend nach draußen.
Am Ende der Straße war ein kleiner Hügel von dem sie immer wieder mit ihren Schlitten herunter fuhren.
Pino stellte schließlich den Schlitten beiseite, formte einen Schneeball und warf ihn Karsten direkt ins Gesicht.
"Na warte", rief Karsten.
Eine gnadenlose Schneeballschlacht begann.
Wenig später waren beide voll mit Schnee.
Pino lachte: "Wenn ich nicht ganz genau wüsste, dass du es bist, würde ich glauben ein Schneemann steht vor mir."
"Los, lass uns einen bauen", rief Karsten.
Sie rollten erst eine große Kugel für den Bauch und danach eine etwas kleinere, für den Kopf. Als Augen dienten zwei große dunkle Steine und aus einem kleinen Zweig wurde eine Nase. Für den Mund suchten sie nach kleineren Steinen. Diese im Schnee zu finden war ganz schön schwierig. Zuletzt zogen sie dem kleinen Schneemann noch Schal und Mütze an, dann war er fertig.
Viele Kinder aus der Nachbarschaft bewunderten den kleinen Schneemann. Ab und zu wurde auch er mit Schnee beworfen, was ihn sehr freute.
Nach vielen kalten Wochen, wurde es wieder wärmer. Der Schnee begann zu tauen. Dem kleinen Schneemann tropften Wasserperlen über die Stirn und er bekam große Angst. Bald würde er sich in nichts auflösen.
Karsten und Pino standen vor ihm und überlegten lange wie sie ihm helfen konnten. Von Stunde zu Stunde wurde er kleiner. Sie mußten sich ganz schnell etwas einfallen lassen.
"Hier kann er auf keinen Fall bleiben!", sagte Pino.
Karsten nickte. "Wir müssen ihn irgendwo unterbringen, wo es sehr kalt ist."
"Ich weiß - wir bringen ihn in Omas Kühlschrank", rief Pino.
"Gute Idee", pflichtete Karsten bei.
Schnell luden sie den kleinen Schneemann auf den Schlitten, und liefen zum Haus der Großeltern, das gleich um die Ecke war.
Als sie die Kühlschranktür öffneten, stellten sie entäuscht fest, dass der Kühlschrank nicht groß genug für den kleinen Schneemann war. Sie überlegten weiter, aber es wollte ihnen kein neuer Plan einfallen. Eine große Wasserpfütze hatte er jetzt schon im Haus hinterlassen. Eilig gingen sie wieder hinaus und setzten ihn zurück an seinen alten Platz. Sie wußten, wenn ihnen nichts Neues einfallen würde, wäre der kleine Schneemann bis zum nächsten Tag aufgelöst.
In der Nacht weinte der kleine Schneemann bitterlich.
Der Winter, ein alter Herr mit langen, weißen Haaren, ging noch ein letztes Mal mit großen Schritten durch die Straßen. Als er den kleinen Schneemann hörte, blieb er verwundert stehen.
"Warum weinst du?", fragte er mit rauer Stimme.
"Ich bin so traurig, weil ich mich auflöse und so gerne bleiben würde. - Bald bin ich nicht mehr zu sehen." Seine kleinen Schneehände drückte er fest vor die Augen und weinte sehr.
Der Winter sagte: "Ja, es ist wieder an der Zeit mich von hier zu verabschieden. Der Frühling hat schon an meine Tür geklopft und die Menschen freuen sich jetzt sehr auf ihn."
"Ich weiß", schluchzte der kleine Schneemann.
"Hm." Der Winter rieb sich nachdenklich das Kinn. "Wenn du möchtest, darfst du mich gerne begleiten."
Der kleine Schneemann blickte auf. "Das will ich", sagte er überrascht und wischte sich die Tränen aus den Augen.
Überglücklich folgte er dem Winter, der eilig weiter ging.
Als sie am Fenster von Karsten und Pino vorbei kamen, winkte der kleine Schneemann ihnen zum Abschied.
Voller Freude, dass der kleine Schneemann gerettet war, winkten sie ihm so lange nach, bis er zusammen mit dem Winter verschwunden war.
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